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Jakob Burgi

Eine Verabschiedung

Die Tür vor ihrer Nase piepst und schließt sich langsam. In der Erwartung, dass die S-Bahn losfährt, verlagert sie ihr Gewicht leicht auf ihren rechten Fuß. Aber das fühlt sich nicht so an wie sonst, ihr Rucksack muss schwerer sein als sie dachte. Nein, merkt sie, komisch ist es, weil die S-Bahn nicht losfährt. Also lehnt sie sich wieder nach links, aber dann befällt sie ein leichtes Zögern. Was, wenn die Bahn jetzt doch losfährt. Sie schmunzelt und drückt auf den Türöffner. Damit wäre dieses Problem erst einmal gelöst, aber zwischen den sich öffnenden Türen sieht sie ein anderes Problem. Es steht noch an der Treppe und wartet bis sie wegfährt, natürlich tut es das. Das hätte sie sich eigentlich denken können. Als sie nun wieder plötzlich in der offenen Tür steht, schaut er sie lächelnd an und kommt auf sie zu. Sie sonnt sich in seinem Blick, und sagt "Ich würde schon gerne bleiben", aber so leise, dass sie überrascht ist, dass er darauf eingeht. Kann er Lippen lesen. Vielleicht eher, dass er ihr Gefühl des Abschieds teilt, das macht mehr Sinn. "Du kannst hier bleiben. Ich habe nichts vor, was nicht doppelt so schön mit dir wäre". Sie wundert sich, warum er dann nicht über diese Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante steigt. Ich bin doch hier, direkt vor dir, will sie rufen, aber sagt einfach "Ich weiß halt nicht". Die Tür piepst wieder und sein Gesicht verschwindet in der sich schließenden Lücke. Die S-Bahn fährt immer noch nicht los. Stattdessen findet sie wieder den Knopf, der die Tür öffnet. "Ich hasse Verpflichtungen", sagt sie ihm traurig und wütend in die Augen, wütend wegen der Dinge, die zu Hause auf sie warten und denen ihr Rucksack Rechnung trägt. Stattdessen lasten sie jetzt in Gedanken auf der Erinnerung der letzten Tage mit ihm. Die Türen gleiten wieder vor ihr zu und trennen ihn und ihre Arbeit daheim. Lieber will sie ihn mitnehmen, oder noch besser wäre es, sie würde sich entscheiden, den Schritt aus der Bahn selbst zu machen. Aber warum tut sie es nicht. Erschrocken drückt sie wieder auf den Knopf, der die Tür öffnet. Wie ärgerlich, dass sie so in Gedanken versinken konnte. Aber die Tür geht wieder auf, und er steht immer noch da. Er guckt sie schmunzelnd über die Lücke an, als wäre die gar nicht da. Ihr Herz beginnt zu klopfen, sie denkt daran, ihrem Bein zu befehlen, die 10 cm Lücke zu überwinden, mit der Fußspitze nach dem Beton des Bahnsteigs zu tasten und langsam das Gewicht darauf zu verlagern, spüren dass der Bahnsteig sie trägt (auch wenn sie sich dessen gerade nicht so sicher ist, wie sie es mal war) und das zögerliche Tasten wird reichen, dass er zu ihr gekommen sein wird. Die Tür ist wieder zugegangen. Sie drückt auf den Knopf, um sie wieder aufzumachen.

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